Familientherapie in Aktion – Der therapeutische Ansatz der Virginia Satir

Verfasst von: Alexander Miró (Hamburg, 1999)

 

Inhalt

Kapitel I

1. Satirs Modelle

1.1. Hierarchisches Modell vs. Wachstumsmodell

1.2 Dualismus und Einheit

2. Kindliche Entwicklung

3. Veränderung und Lernen

4. Familienprozesse

4.1 Familiensystem

4.2 Kommunikation in der Familie

4.3 Familienregeln

4.4 Selbstwert und Selbstwertprozeß

5. Ziele der Therapie

Kapitel II

Literaturhinweise

 

 

Kapitel I

1. Satirs Modelle

1.1. Hierarchisches Modell vs. Wachstumsmodell

V. Satir stützt sich in ihrer Arbeit auf den Unterschied zweier Modelle die sich in vier Bereichen unterscheiden, zweier unterschiedlicher Betrachtungsweisen der Welt, die sie einander gegenüberstellt und die, so Satir, einen entscheidenden Einfluß auf die Art und Weise des Zugehens auf den Klienten zur Folge haben. Sie gelangt zu der Überzeugung, dass das Wissen darum, „wie ein Mensch diese vier Bereiche handhabt“ den Therapeuten/die Therapeutin zu einem tieferen Verständnis dazu verhilft, „wie er sein Leben bewältigt“ (Satir 1988, S. 136). Es sind dies das hierarchische Modell und das Wachstumsmodell, die sich in folgenden Bereichen unterscheiden:
1. In der Definition von Beziehung,

2. In der Definition des Menschen von sich selbst,

3. In der Erklärung von Ereignissen und

4. In den Sichtweisen von Veränderung.

Das hierarchische Modell ist geprägt von festen Regeln und Normierungen des richtigen Verhaltens sowie von der Unterwerfung unter bestehende Richtlinien des Kulturkreises, in dem man sich bewegt. Seinen konfliktreichen Charakter erhält dieses Modell jedoch erst dadurch, dass die Positionen hier ungleich verteilt sind, dass mit diesem Modell ein hierarchisches Gefälle von Zuständigkeiten und Abhängigkeiten vorgegeben ist: die da oben wissen was für die da unten gut ist. Diese Unterschiede lassen sich in unserer westlichen Kultur an den Unterschieden des sozio-ökonomischen Status ihrer Mitglieder ablesen, der wiederum eingeht in ein ‚ausgeklügeltes System‘ von Rollen und Rollenerwartungen mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstoß gegen bestehende (und das System stabilisierende) Funktionsprinzipien.[1]

Demgegenüber sieht (und unterstützt) Satir das Wachstumsmodell, das außerhalb des zuvor beschriebenen Kontextes steht und sich daher auch nicht über Begriffe wie ,Rolle‘ oder ‚Status‘ definieren läßt, was keineswegs bedeutet, „daß Lob und Kritik im Wachstumsmo­dell keinen Platz hätten, aber sie beruhen nicht auf festgeschriebenen Rollen“ (Satir 1988, S. 138). Im Wachstumsmodell wird die Identität des Einzelnen vielmehr durch die Existenz als Person bestimmt – eben durch die Akzeptanz des Unterschieds zu allen anderen Menschen. Bezüglich der Erklärungen über die Ursachen von Verhalten und die Ätiologie von Krankheiten berücksichtigt dieses Modell zudem wesentlich mehr Variablen als das hierarchische Modell.

Für Satir bildet das Wachstumsmodell jedoch nicht nur den philosophisch-anthropologischen Bezugsrahmen ihres familientherapeutischen Ansatzes, sondern er bildet quasi die Voraussetzung für diesen: Muß beim hierarchischen Modell, ungeachtet der Kosten, ein überwiegender Anteil der Energie dazu verwendet werden, die Beibehaltung des Status quo zu sichern und den Fluß der Veränderung einzudämmen, so wird beim Wachstumsmodell Veränderung als permanenter und natürlicher Lebensprozeß betrachtet.

1.2 Dualismus und Einheit

Satir führt das hierarchische Modell zurück auf den griechischen Atomismus, der die Auffassung vertritt, dass alle Dinge aus selbständigen Elementen bestehen und alles Geschehen sich aus der Trennung und Vereinigung dieser Elemente ergebe. Im weiteren Verlauf wird die Entzweiung im 17. Jh. durch den französischen Philosophen und Naturwissenschaftler Decartes zu einem Dualismus zwischen Geist und Materie gesehen. Ausgehend vom Denken als der einzigen, unzweifelbaren Tatsache des Zweifelns findet Decartes über das Denken wieder Vertrauen zur Vernunft und im weiteren einen Beweis Gottes selber: die Idee Gottes als eine, die die vollkommenste Idee einschließe, so Decartes, beweise Gott als die Ursache dieser Idee. Aus der Existenz Gottes wiederum leitet er die wahrhaftige Existenz der Welt, wie sie sich ihm darstellt, ab und deren wichtigste Eigenschaft die Ausdehnung ist (vgl. Philosophisches Wörterbuch, Kröner-Verlag, S.128f). In dieser Trennung zwischen Geist und Materie, zwischen Denken und Ausdehnung und letztlich zwischen Leib und Seele sieht Satir die Determination der Identität beim Menschen der westlichen Kultur ausschließlich über den Verstand begründet. Der Geist erhält unter dieser Voraussetzung die globale Steuerung über den Menschen, er erhält Kontrolle nicht nur über die Razio, sondern auch über das Gefühlsleben. Eine prototypische Beschreibung eines Dualismus der in ähnlicher Art und Weise den Menschen entzweit, findet sich in Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“. Der Protagonist Harry Haller ist hier entzweit in zwei fast unabhängige innere Positionen, wobei die Einflußnahme der Razio auf den Bereich des Eros bei ihm fast zur Auslöschung der Lebensfähigkeit der Persönlichkeit des Harry Haller führt und nur durch die Einflußnahme Hermines überwunden werden kann: „Hermines Bedeutung für Haller beschränkt sich dergestalt auf die klassische Anima-Funktion der psychologischen Beziehungsstiftung und der Einführung ins Leben. Als Psychopompos zur Lebenslust hilft sie ihm, seinen Intel­lektualismus und seine Verzweiflung zu überwinden und in ein neues Verhältnis zum Leben zu treten.“ (Baumann, 1989, S. 213).

Wie in Hesses Roman wird auch bei Satir auf die Einheit des Menschen, ja aller Dinge des Universums verwiesen. So legt sie Wert auf die „Ent­wicklung einer Bewußtheit von der Einheit  und der wechselseitigen Abhängigkeit aller Dinge“ (Satir, 1988, S. 141). Eine Abhängigkeit, die sich wesentlich durch das Prinzip der wechselseitig sich beeinflussenden Veränderung ausdrückt. Das Ziel von Satirs Arbeit ist es, einzelnen Menschen und Familien ein Gefühl für ihre eigene Ganzheit zu vermitteln, wobei als Hintergrund dieses Ansatzes die Überzeugung von der Ganzheit als das funda­mentale Wesensmerkmal des Universums steht. In diesem Sinne sieht sie die Aufgabe des Therapeuten/der Therapeutin in der Beseitigung von Blockaden, die es dem Menschen verwehren zu der von ihnen selber angestrebten Ganzheit zu gelangen. (Vgl. Satir, 1988, S. 141).

2. Kindliche Entwicklung

Die Grundlage für die Ausbildung eines dem Menschen innewohnenden Strebens nach Balance und Gleichgewicht bildet Fürsorge und Geborgenheit in seiner frühen Entwicklung. Die Wahrnehmung dieser Fürsorge, und dies scheint mir in diesem Zusammenhang wichtig, wird jedoch nicht nur von den realen Verhältnissen innerhalb der Fürsorge vermittelnden Umgebung des Kindes gestaltet, sondern ist in wesentlichen Anteilen von der Wahrnehmung dieser Situation mitbeeinflußt. Später ergeben die bewußten und unbewußten Erinnerungen der Kindheit eine Mischung aus Wahrheit und Einbildung. Einen wesentlichen Einfluß auf den Verstehensprozeß der Umgebung üben dabei die Kommunikationsmuster in der Familie aus, wobei der Verstehensprozeß in dem Maße verzerrt ist, in dem die Familie dysfunktional kommuniziert. Daraus erschließt sich, dass die Grundlagen für das Erwachsensein und Beeinträchtigungen der aus einer dysfunktionalen Kommunikationsstruktur resultierenden Bewältigungsfähigkeit des Menschen in der Familie gelegt werden. In diesem Zusammenhang erhält das aus der Psychoanalyse stammende Modell der primären Triade für V. Satir eine besondere Bedeutung.[2] In der primären Triade findet eine Positionierung des Menschen statt, in der er nicht nur lernt sich selber innerhalb der eigenen Familie einzuordnen, sondern darüber hinaus auch seinen Platz in der Gesellschaft findet. Die Familie kann in diesem Sinne symbolisch als Mikrokosmos, als ‚verlängerter Arm‘ der Gesellschaft betrachtet werden, die dem Kind die von der Umwelt geforderten Normen und Werte vermittelt. Wendet man diese Erkenntnisse auf den Beziehungsaspekt des Menschen an, also auf die Entwicklung der Möglichkeit des Menschen, überhaupt eine emotionale oder soziale Beziehung mit anderen Menschen einzugehen, so bedeutet diese symbolische Struktur der primäre Triade einen wesentlichen Ausgangs- und Ansatzpunkt für Beziehungsfähigkeit des Menschen. Wenn sich das Kind etwa in den ersten Monaten verlassen fühlt, können sich hieraus Störungen in der späteren Beziehungsfähigkeit des Menschen ergeben. Wie bereits angedeutet, erhält in dem Konzept V. Satirs die Kommunikationsstruktur in der Triade eine besondere Bedeutung. Demnach ist die Familie der erste Ort, wo das Kind etwas über Integration und Ausgeschlossensein lernt und damit elementare Erfahrungen macht, die seine spätere Beziehungsfähigkeit mitgestalten. Eine weitere Erfahrung die sich hieraus ableitet ist der Umgang mit Macht. Das Kind muß im Laufe seiner ersten Lebensjahre immer wieder erfahren, dass ihm natürlicher Weise Grenzen gesetzt sind und damit seine Bedürfnisse und Wünsche nicht vollständig erfüllt werden. In den ersten Lebensmonaten ist das Kind noch vollständig darauf angewiesen, von den Eltern eine Bedürfnisbefriedigung zu erfahren – die einzige Art darauf Einfluß zu nehmen ist die Äußerung von Unbehagen durch Schreien, Quengeln o.ä. Später kann es zunehmend durch eigene Aktivität den eigenen Willen durchzusetzen versuchen. Aber auch jetzt ist es meist noch auf die Zustimmung der Eltern angewiesen, so dass es bemüht ist, die „Mehrheitsverhältnisse“ innerhalb der Triade positiv für sich zu gestalten (z.B. indem das Kind lernt, seine Macht einzusetzen, um über Bündnisse seine Ziele zu erreichen und damit seine Bedürfnisse zu befriedigen).

Die Triade ist mithin ein Ort, an dem starke Kräfte bezüglich Überleben und Selbstachtung auf die Familie einwirken. Andererseits bietet die Triade auch eine Möglichkeit starker Unterstützung, wenn drei Personen ihre Stärke zusammenlegen und so eine Möglichkeiten schaffen, dass sich alle nach Bedarf hieraus bedienen kön­nen. Ziel der Therapie ist es, die Fähigkeiten im Umgang mit der Triade wiederherzustellen.

3. Veränderung und Lernen

Wie ich bereits dargestellt habe geht V. Satir davon aus, dass im Menschen immanent der Wunsch nach Veränderung und Lernen vorhanden ist. Der Wunsch nach Veränderung treibt sowohl den, der um das nackte Überleben kämpft, als auch den anderen, der bereits weit entwickelt ist, sich zugleich jedoch sehnt sich noch weiter zu entwickeln: „Am einen Ende des Spektrums steht der Wunsch nach Veränderung, um weiter wachsen zu können, am anderen wird die Veränderung ge­sucht, um unerträglichem Leid und Verzweiflung zu entkommen.“ (Satir, 1988, S. 151). In jedem Falle jedoch, so Satir, nimmt der Prozeß der Veränderung und der Wunsch, neues hinzu zu lernen, einen äußerst großen Raum ein – der Prozeß bedarf der Bereitschaft und der Fähigkeit, auf der kogniti­ven, der emotionalen, der Vorstellungs- und Willensebene zu neuer Be­wußtheit zu kommen. Nicht die Löschung alter Strukturen ist daher der Weg, den Satir für sinnvoll hält, sondern ausschlaggebend für die Veränderung ist bereits die Integration der neuen Bewußtheit, unabhängig von den ursprünglichen Motivationen für die Ver­änderung.

Aus diesem Blickwinkel, nämlich der Bedeutungszuweisung des Lernens und der Veränderung, läßt sich nun auch die Tragweite der frühen Erfahrungen in der Triade für Menschen erahnen: „Obwohl das Gedächtnis bei bewuß­tem, faktischen Material oft versagt, speichert es emotionales Wissen, besonders die Überlebensstrategien aus der frühen Triade, überra­schend genau, so dass frühere negative Erlebnisse das ganze weitere Leben beeinflussen können.“ (Satir, 1988, S. 151) Wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir, dass die triadische Beziehungsebene in erheblichem Maße durch die Phantasie der Teilnehmer mit beeinflußt wird. Erst hierdurch erhält die Triade ihren herausragenden Charakter innerhalb der familiären Wirklichkeit, da praktisch jeder Einfluß der triadischen Situation durch die Phantasie sowohl positiv aber auch negativ ausgestaltet werden kann.[3]

Der therapeutische Ansatz Satirs zielt konsequenter Weise nicht darauf, den negativen Ballast, den der Patient mitschleppt, zu löschen, also zu „verlernen“, sondern nach ihrer Überzeugung ist der Fokus auf das Löschen des früher erlernten überflüssig. Fokussiert man auf andere, sinnvollere Bewältigungs- oder Umgangsweisen, dann benutzt sie der Klient allmählich, und die alten verkümmern, weil sie nicht mehr benutzt werden. Sie steht damit in der Tradition einer philosophisch-pädagogischen Tradition, die annimmt, dass das Kind einen natürlichen Drang zum lernen entwickelt, wenn dessen Neugier nicht von außen eingeengt und unterdrückt wird. Damit weist sie dem Menschen selber ein großes Maß an Verantwortung zu, sich den Inhalt dessen, was er lernen und entdecken will, selber auszusuchen: „Menschen, die mit neuen Verhaltensweisen konfrontiert sind, sollen sich das aussuchen, was für sie richtig ist, und alles andere zu­rückweisen.“ Hiermit verfolgt Satir einem Ansatz, der zurückweist auf den sokratisch-maieutischen Lernprozeß. Es ist die Kunst, die Sokrates in seinen Dialogen immer wieder zum Ausdruck bringt. Hierbei holt er durch geschicktes Fragen die in seinem Dialogpartner schlummernden Erkenntnisse wieder hervor, ohne dass er selber die Antwort nennt.[4] Ähnlich interpretiert auch Satir hier den Lernprozeß, der demzufolge im wesentlichen eine Neuentdeckung eines Wissens beinhaltet, das der fragende Mensch bereits in sich trägt. Auch die Rolle des Therapeuten/der Therapeutin wird gemäß dieser Tradition interpretiert: „Die Rolle des Therapeuten oder Lehrers ist es also, mit strategischen Fragen, Schüler oder Klienten dahin zu bringen, die eigenen Antworten zu finden. Es entspricht dem sokratischen „mäeutischen“ Lernprozeß, in dem der Lehrer (wie eine Hebamme bei der Geburt) dem Schüler hilft, die Gedanken hervorzubringen, die in ihm stecken.“ (Satir, 1988, S. 152).

4. Familienprozesse

4.1 Familiensystem

Satir interpretiert eine Familie als System, in dem jedes Mitglied den anderen beeinflußt und von jedem anderen wiederum beeinflußt wird. Daher erscheint es ihr auch wesentlich, die verschiedenen Reize und Wirkungen in der Familie zu erkennen. Hierzu unterscheidet sie zwei Typen von Systemen und damit auch zwei Arten des Familiensystems:

1. „Im geschlossenen System sind die Informationen über und aus der Außenwelt sehr begrenzt, und die Reaktionen auf Situationen sind kreisförmig und automatisch und ignorieren Veränderungen im Kontext.“ (Satir, 1988, S. 157). Übertragen auf die Familie bedeutet dies, das ein geschlossenes Familiensystem nach regiden, unverrückbaren Regeln funktioniert und auf einen bestimmten Kontext angewandt werden, unabhängig davon, ob die äußeren Reize (etwa durch die anderen Systembeteiligten) die als passend erscheinen lassen – ein System also, das durch Macht, neurotische Abhängigkeit, Gehorsam, Deprivation, Konformität und Schuld charakterisiert ist. Bei Mitgliedern dieses Systems ist der Selbstwert zunehmend in Frage gestellt und immer mehr auf Verstärkung von außen angewiesen.

2. „Im offenen System werden Re­aktionen und Interaktionen von Veränderungen im Kontext oder von neuen Informationen beeinflußt. Hier sind Wahlmöglichkeiten und Flexibilität cha­rakteristisch, bis hin zu der Möglichkeit, das System eine Zeitlang zu schließen.“ (Satir, 1988, S. 157f). Bei diesem Typ des Familiensystems ist der Selbstwert der Mitglieder eine entscheidende Größe, da hier jeder ein Gefühl von Macht und Kontrolle über sein eigenes Schicksal erhält. Das wesentliche dieses Familientyps ist die Fähigkeit, positiv und flexibel auf Veränderungen des gesamten Systems zu reagieren und sich auf diese Situation mit eigener Veränderung einzustellen, wobei die Akzeptanz dieses Zustandes stetiger Veränderung einen entscheidenden Faktor darstellt. In einem solchen Systems herrscht Vertrauen, Humor, Flexibilität und die Menschen leben auf dem Boden der Realität.

4.2 Kommunikation in der Familie

Als weitere wichtige Komponente für das funktionieren einer Familie identifiziert Satir die Kommunikationsmuster. Hieraus läßt sich ablesen, wieweit sie Nähe und Intimität ausdrücken können, wie Infor­mationen weitergegeben werden, welche Bedeutung sie der Kommuni­kation zumessen und wie sie sich ganz allgemein entsprechend verbal äußern können. Wichtig ist vor allem, dass die Absicht und das Ergebnis der Mitteilung zusammenpassen, dass die Familienmitglieder also das ausdrücken (können), was sie ausdrücken wollen und, wenn es hierbei eine Disparität gibt, diese Thematisiert werden kann. Folgende Stichpunkte stehen bei der Einschätzung der Kommunikationsmuster im Vordergrund (Vgl. Satir, 1988, S. 161f):
– Direktheit/Indirektheit: Inwieweit werden Informationen ausgeklammert. Der Therapeut/die Therapeutin muß den Klienten hier die Unvollständigkeit der Kommunikation bewußt machen.

– Nominalisierung: Aktive Teile einer Erfahrung werden in statischen Begrif­fen wiedergegeben. Anstatt zu sagen ,,ich bin verwirrt“ wird gesagt ,,Ich erlebe Ver­wirrung», was den Prozeß ,,verwirrt sein“ (Verb) zu einem stati­schen Ereignis (Substantiv) macht.

– Teil-Äquivalenz: Dabei setzt man einen Teil des Verhaltens eines Menschen mit einer ganzen Kommunikation gleich (z.B. nur das Stirnrunzeln seines Kommunikationspartners) und gibt das als eigene innere Erfah­rung aus.

– Repräsentationssysteme: Die meisten Menschen benutzen nur einen von 3 sinnlichen Kanäle (Hören, Sehen, Kinästhesie).

Entscheidend für Satir ist vor allem die Art und Weise des miteinander Kommunizierens, da sich hierin das Selbstwertgefühl eines Menschen spiegelt. Aus den Kommunikationsmustern eines Familienmitglieds lassen sich so verschiedene Formen dysfunktionaler Strukturen erkennen, mit Hilfe dieser Mensch bestrebt ist, die eigenen Gefühle zu verstecken. Dem Therapeuten/der Therapeutin obliegt es nun, die einzelnen Familienmitglieder darin zu bestärken, ihre Gedanken und Gefühle zu akzeptieren und sie auszudrücken, um so zu einer kongruente Kommunikation in der Familie zu gelangen.

4.3 Familienregeln

„Familienregeln umfassen das Verhaltensrepertoire, das nach Auffassung der Mitglieder in einer bestimmten Situation angewandt bzw. nicht angewandt werden sollte.“ (vgl. Satir, 1988, S. 164). Satir versucht die Art der Regeln innerhalb einer Familie zu erkunden, die entweder offen (z.B. die Schlafengehenszeiten) oder verdeckt und unausgesprochen sein können. Hierbei lassen sich z.B. folgende Regeln identifizieren, die für die Systemanalyse von Bedeutung sein können:

– Ist es möglich, die herrschenden Regeln einzuhalten? Oder besteht diese Regel eventuell nur, um hinter ihr die eigenen Gefühle verbergen zu können?

– Sind die herrschenden Regeln auf dem neuesten Stand? Oder ist eine vorhandene Regel eventuell Ausdruck einer als bedrohlich empfundenen Möglichkeit der Veränderung innerhalb der Familie?

– Welche Regeln bestimmen den Informationsaustausch? Werden hier Verzerrungen deutlich, die zu Fehlkommunikation führen?

– Welche Regeln gibt es bezüglich der Äußerung von Gefühlen? Erlauben die bestehenden Strukturen einen freien Umgang mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen?

Der Therapeut/die Therapeutin hat die Aufgabe, die Familie dabei unterstützen sich selber ihrer Regeln bewußt zu werden und damit sich selber aus bestehenden Regeln zu befreien, die eine Dysfunktionalität innerhalb der Familie erzeugen.

4.4 Selbstwert und Selbstwertprozeß

Satirs grundlegender Ansatz zielt darauf, den Selbstwert ihrer Klienten zu stärken. Dieses Selbstwertprozeßmodell basiert auf vier Annahmen (Vgl. Satir, 1988, S.169f):

1. Die Annahme, dass Menschen auf Veränderung und Wachs­tum ausgerichtet und zu jeder Art Verwandlung fähig sind.

2. Therapie als Versuch, den Klienten Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu ver­schaffen und ihnen zu zeigen, wie diese sich nutzen lassen, um ihnen zu neuen Bewältigungsfähigkeiten zu verhelfen.

3. Die Auffassung von Familie als System, in dem jedes Mitglied den anderen beeinflußt und von jedem anderen beeinflußt wird.

4. Die Notwendigkeit einer inneren Überzeugung des Therapeuten/der Therapeutin bezüglich des Potentials jedes Menschen zu wachsen und sich zu verändern.

Der Selbstwertprozeß als therapeutischer Prozeß vollzieht sich nun in 3 Stufen:

Erste Stufe: Kontaktaufnahme und schließen eines Arbeitsvertrages

In der ersten Stufe ist der Therapeut/die Therapeutin aktiv bemüht eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, in der Hoffnung und Vertrauen möglich werden. Wichtig hierbei ist die Dokumentation der vollkommenen Wertfreiheit des Therapeuten. In dieser Phase versucht der Therapeut/die Therapeutin etwas über das Familiensystem und über die in der Familie herrschenden Regeln kennenzulernen. Der Fokus auf Kommunikation und Selbstwert führt zum Verständnis der Überlebens- oder Abwehrmechanismen, mit de­nen die einzelnen ihren Selbstwert schützen. Das therapeutische Ziel dieser Anfangsphase besteht darin, Be­obachtungen mitzuteilen und den Familienmitgliedern das deutlich zu machen, was den Mitgliedern implizit meist schon bekannt ist.

Zweite Stufe: Chaos

War für die erste Stufe noch charakteristisch, dass der Status quo beibehalten und nicht angetastet wird, so erhält der Prozeß hier nun einen Ausdruck von Chaotik und Durcheinander. „Mit Unterstützung des Therapeuten überschreiten ein­zelne Familienmitglieder die Grenzen ihrer Abwehr und kommen mit Bereichen in Kontakt, die sie aus Angst vor sich selbst und den anderen verbergen mußten.“ (Satir, 1988, S. 175). Mit dem Fortschreiten des Prozesses wird das Gefühl der existentiellen Bedrohung langsam schwächer. Der Therapeut/die Therapeutin verbündet sich während dieser Zeit mit dem Wunsch des Klienten nach Wachstum und fördert dieses. Von großer Bedeutung ist dabei, dass der Therapeut den Klienten in dieser Chaos-Phase immer wieder auf die Gegenwart einstellt, da dieser hier mehr mit seinem in­neren Aufruhr als mit der Realität um ihn herum in Kontakt steht. Die Gegenwart ist die einzige Realität in diesem Kon­text, und erst wenn der Klient sich in dieser Realität wieder wohl fühlt, er­hält er das Gefühl von Kontrolle über sein Schicksal zurück (vgl. Satir, 1988, S.  175f).

Dritte Stufe: Integration

Diese Stufe beginnt, wenn das Chaos der zweiten Stufe abgeklungen ist. Die Merkmale der dritten Stufe sind neue Hoffnung und die Bereitschaft zur Veränderung. Die Inte­gration kann das Ende einer Sitzung anzeigen oder eine Art ,,Zwischenstop» setzen, bevor der Kreislauf mit der Bearbeitung eines anderen Themas wieder von vorne beginnt.

5. Ziele der Therapie

Die Ziele des Satirschen Ansatzes liegen in der Entwicklung von Gesundheit denn im Aufheben von Symptomen. Sie liegen „..in der Transformation der in der demonstrierten Pa­thologie einer Familie oder eines Einzelnen aufgestauten Energie zu sinnvollen Zwecken.“ (Satir, 1988, S.155). In dieser Art ist der Begriff ,,Selbstwert-Prozeß-Modell“ als Modell eines Prozesses, einer Entwicklung und nicht als beseitigen von Symptomen zu verstehen. Vor allem drei Ziele sind es, die im therapeutischen Prozeß angestrebt werden:

1. In der Therapie sollen die Bedürfnisse jedes einzelnen Familienmitgliedes nach unabhängigem Wachstum und nach Einheit des Familiensystems inte­griert werden. Ihre Arbeit steht im Zeichen der Entwicklung neuer Hoffnung, zur Entdeckung alter oder Entwicklung neuer Träume.

2. Das Erweiterung der Sichtweise für neue Möglichkeiten und mit neuen Situationen umzugehen führt dann zur Stärkung und Erweiterung der Bewältigungsfähigkeiten der einzelnen Familien­mitglieder. Die Aufgabe des Therapeuten/der Therapeutin besteht darin, mit den Familienmitgliedern die einzelnen Bewältigungsstrategien  durchzuarbeiten, so dass sie schließlich in die Lage versetzt werden selbst entschei­den, was gut für sie ist.

3. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es den Patienten zu zeigen, dass sie die Fähigkeit haben, zu wählen. Hieraus erwächst die Erkenntnis und das Gefühl, dass man selber eine Einflußmöglichkeit auf die bestehenden Strukturen erhält.

V. Satir geht es im wesentlichen um die Integration der Interessen jedes einzelnen Familienmitglieds in die Einheit des gesamten Familiensystems, um hieraus das generelle Ziel der Erweiterung des individuellen Entwicklungspotentials zu erreichen. Wenn diese Einbindung jedes einzelnen erreicht wird, werden auch die negativen Symptome beseitigt. „Wenn der Prozeß, der zur Symptomentwicklung geführt hat, geändert werden kann, wird sich das Symptom auflösen. Ein gesunder Mensch braucht kein Symptom. Man muß nichts beseitigen…“ (Satir, 1988, S. 156).

Kapitel II

Ich selber fühle mich angesichts der Beschreibung des Wachstumsmodells aus dem ersten Kapitel stark an die buddhistische Lehre erinnert. Auch hier spielt die Veränderung im Sinne der Vergänglichkeit eine wesentlichen Rolle: „Die Erkenntnis der Vergänglichkeit ist paradoxer Weise das einzige, woran wir uns halten können, vielleicht unser einziger dauerhafter Besitz. Sie ist wie Himmel und Erde. Egal, wieviel sich auch um uns herum ändert oder zusammenbricht – Himmel und Erde bleiben stabil.“ (Ringpoche, 1997, S. 43). 

Auch in der Aussage eines Buddhisten aus Nepal wird auf die gleiche Weisheit insistiert:

„Ich bin nun achtundsiebzig Jahre alt und habe in meinem Leben soviel gesehen. So viele junge Menschen sind gestorben, so viele Menschen in meinem Alter und so viele, die älter waren als ich. So viele Menschen, die an der Spitze standen, sind tief gefallen. So viele Menschen, die unten waren, sind an die Spitze aufgestiegen. So viele Länder haben sich ver­ändert. Es hat soviel Aufruhr und Katastrophen gegeben, so viele Kriege und Seuchen, soviel grauenhafte Zerstörung überall in der Welt. Und doch sind all diese Veränderungen nicht wirklicher als ein Traum. Wenn du tief genug schaust, erkennst du, daß nichts dauerhaft und be­ständig ist, nichts – nicht einmal das kleinste Härchen auf deinem Kör­per. Und das ist keine bloße Theorie, sondern etwas, was du wirklich selbst erkennen und mit deinen eigenen Augen sehen kannst.“ (Ringpoche, 1997, S. 42).

Für Buddha selber ist die Veränderung, und mit ihr als extremste Form die Vergänglichkeit, ein ständiger Begleiter unseres Lebens:

„Unser ganzes Dasein ist flüchtig wie Wolken im Herbst; Geburt und Tod der Wesen erscheinen wie Bewegungen im Tanz. Ein Leben gleicht dem Blitz am Himmel, es rauscht vorbei wie ein Sturzbach den Berg hinab.“ (Ringpoche, 1997, S. 43).

Veränderung im Sinne der Vergänglichkeit wird offenbar auch im Buddhismus als wesentlicher Bestandteil, ja als Voraussetzung des Lebens angesehen.

In diesem Zusammenhang möchte noch einmal den Blick zur Entwicklung des Menschen lenken, bei der die Veränderung den Mittelpunkt schlechthin bildet. Bei der Entwicklung des Säuglings gewinnt die Veränderung, die Entwicklung des Kindes praktisch oberste Priorität. Alle Prozesse des Kindes, seien es biologische oder soziale Fertigkeiten und Funktionen, sind von vornherein darauf angelegt, aus dem zu Anfang noch hilfsbedürftigen Wesen, das in diesem frühen Zeitpunkt ohne die Fürsorge anderer nicht überleben kann, zu einem vollständigen Mitglied der Gemeinschaft heranreifen zu lassen, das dazu in der Lage ist, sich selber zu versorgen.[5]

Bei all dieser Entwicklung ist und bleibt der Mensch jedoch Zeit seines Lebens darauf angewiesen, sich innerhalb der Gemeinschaft zu befinden, sich in die Gemeinschaft mehr oder minder zu integrieren und in einen Austausch mit dieser sozialen Umgebung zu gelangen. Hierbei spiegeln sich aber bei genauerer Betrachtung zwei unterschiedliche Ebenen wider: zum einen tritt der Mensch selber als ein komplexes System in Erscheinung, der als „System Mensch“ (bestehend aus einer Vielzahl unterschiedlichster Einheiten, wie etwa als biologisches, psychologisches oder soziales System) in einen Austausch mit seiner Umgebung, wie etwa seiner Familie oder seiner Peergroup tritt. Zum anderen kann der Mensch aber auch als eine in sich geschlossene Einheit interpretiert werden, der als einzelner einer Vielzahl von anderen Individuen gegenüber tritt und auf diese reagieren muß. Aus dieser Perspektive erhält Entwicklung nun einen sehr viel komplexeren Charakter, da der Mensch und sein Reifen nun nicht mehr nur als ‚Fortbewegung von kleiner Person zu großer Person‘ zu interpretieren ist, sondern dass Heranreifen des Menschen mit Beginn im Pränatalen Stadium bis zu seinem Tode ist nun Ergebnis der Durchdringung vieler Systemkomponenten auf verschiedensten Ebenen. Aus dieser Sicht erscheint mir der Rückgriff auf die (frühe) Triade als wesentliches Element der menschlichen Entwicklung äußerst sinnvoll, da der Mensch in diesem ersten kleinen System menschlicher Begegnung stark geprägt wird.

Aus dieser Interpretation des Familiensystems entwickelt V. Satir nun Erklärungsansätze für mögliche dysfunktionale Prozesse oder Blockaden innerhalb der Familie. Aufgrund der Komplexität der von mir geschilderten Interpretation des Menschen scheint es für mich nachvollziehbar, dass bereits unbedeutend erscheinende Ereignisse einen Einfluß auf die Entwicklungslinie eines Menschen und des ihn umgebenden Systems haben können. Einer der wesentlichsten Einflüsse auf den Satir immer wieder bezug nimmt ist Liebe und Anerkennung (in dieser Sicht, die Anerkennung, die der Mensch aus seiner Arbeit gewinnt) die einem Menschen entgegengebracht wird, „…denn für die Seele ist die Fähigkeit, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen, genauso wichtig wie das Ein- und Ausatmen der Luft für den Körper, und Arbeit ist eine wesentliche Quelle für das Selbstwertgefühl.“ (Satir, 1988, S. 142). Um die Blockade in der Auseinandersetzung eines Menschen mit seiner Umgebung zu beseitigen, beschreitet Satir gewissermaßen einen Weg des Rückwärts-gehens: erst wenn es dem Menschen gelingt, unabhängig von seiner Umgebung sein Selbstwertgefühl zu steigern bzw. sich selbst in einem anderen Licht wahrzunehmen, erhält er wiederum vorwärts-gehend die Möglichkeit, sich selbst als Wertvoll und Authentisch in der Beziehung mit seiner Umgebung wahrzunehmen und dadurch die entstandene Hemmung in der Beziehung zu dieser Umgebung zu verändern.

Für mich stellt sich an diesem Punkt wiederholt die altbekannten Frage: was war zuerst, dass Huhn oder das Ei? Ist es für einen Menschen überhaupt möglich, ein Selbstwertgefühl aufzubauen ohne das er sich dabei in einer Umgebung befindet, die dieses Gefühl nicht explizit unterstützt? Ist es dem Menschen möglich dieses Gefühl quasi aus sich heraus, aus einer inneren Überzeugung bezüglich des eigenen Selbst (des eigenen „Ich bin“) aufzubauen ohne dabei immer wieder genötigt zu sein, auf die Einschätzung der Umwelt bezüglich der Wirkungsweise dieses Selbst zurückgreifen zu müssen und damit auch auf die altbekannten Muster (bestehen sie aus Selbstzweifel oder Übermut) des Selbstkonzeptes? Eventuell, so wäre ein Gedanke, der durchaus mit dem Konzept von Satir vereinbar wäre, gewinnt die Umgebung einen prägenden Einfluß weniger in einer aktiv beeinflussenden Art und Weise, als vielmehr in einer positiv und wohlwollend beobachtenden, das Gewicht der Entwicklung ‚tragenden‘ Art und Weise.

Literaturhinweise

– Baumann, Günter: Hermann Hesses Erzählungen im Lichte der Psychologie C.G. Jungs. Freiburg, Berlin 1989.

– Mayer, Karl Ulrich: Ungleichheit und Mobilität im sozialen Bewußtsein. Opladen 1975.

– Ringpoche, Sogyal: Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben. Ein Schlüssel zum tieferen Verständnis von Leben und Tod. Otto Wilhelm Barth Verlag 1997.

 Satir, Virginia; Baldwin, Michele: Familientherapie in Aktion. Die Konzepte von Virginia Satir in Theorie und Praxis. Paderborn 1988.

[1]  Die Bewegung in einer sozio-ökonomischen Dimension resultiert damit aus soziologischer Perspektive mit der Zugangsmöglichkeit zu Gütern wie Einkommen, Bildung usw. Die Dimension sozialer Ungleichheit läßt sich demzufolge aus vertikalen Attributen von Berufspositionen, insbesondere dem ihnen zuerkannten Sozialprestige, bestimmen. (Vgl. Mayer 1975, S. 12).

 

[2] Der Begriff der primären Triade verweist auf einen Zusammenhang einer Dreierbeziehung zwischen Vater, Mutter und Kind. Das besondere dieser Situation liegt darin, dass hier zum einen eine wechselseitige Einflußnahme jedes dieser drei Mitglieder auf jedes andere Mitglied der Triade stattfindet und das zum anderen jedes Mitglied durch die Verbindung der beiden anderen Mitglieder beeinflußt wird. Aus der Sicht des Kindes bedeutet dies, dass ein Entwicklungspotential nicht nur aus der eigenen Beziehung zwischen ihm und dem Vater und der Mutter entsteht, sondern dass dieses ebenso durch die Qualität der wahrgenommenen (z.T. auch phantasierten) Verbindung zwischen dem Vater und der Mutter beeinflußt wird.

 

[3] Die Abwesenheit eines der triadischen Teilnehmer, z.B. des Vaters, kann etwa durch eine gemeinsam aufgebaute (phantasierte) Wirklichkeit zwischen Mutter und Kind den abwesenden Vater äußerst real und schillernd erscheinen lassen und damit ausgleichen.

 

[4] Dies wird klassisch in Platons Dialog „Mennon“ dargestellt: Hier führt Sokrates einen einfachen Sklaven durch schlichtes Fragen durch eine komplizierte mathematische Beweisführung, ohne dabei selber jemals die Antwort vor zu geben. Hintergrund dieser Technik ist die Überzeugung der Unsterblichkeit der Seele, so dass sie alle Erfahrungen ihrer vorherigen Leben gespeichert hat und gegebenenfalls auch abrufen kann.

 

[5] Ein für mich immer wieder faszinierender Gedanke ist dabei die Entwicklung des menschlichen Blutkreislaufs: So werden erst mit dem ersten Schrei des Kindes die beiden Blutkreisläufe (Lungenkreislauf und Körperkreislauf) getrennt, woraus dem Kind überhaupt erst die Möglichkeit gegeben wird, eigenständig den Organismus mit Sauerstoff zu versorgen (Organisch bedeutet dies, dass mit dem ersten Schrei, dem ersten Atemholen des Säuglings, eine bis dahin noch offene Verbindung im Herzen des Säuglings zwischen rechtem und linkem Ventrikel geschlossen wird). Eine Entwicklung die für mich die Veränderung im Sinne einer Entwicklung zur Selb-ständigkeit vom ersten Moment des menschlichen Lebens sehr deutlich werden läßt.

© 2024 Dr. Alexander Miró · Tel. 040 – 32 89 29 82 

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